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Einfach so zum Nachdenken...



Datum: 10.12.2018 | Verfasst von: Dr. Jürgen Bodenseer



Es war einer jener recht gemütlichen Rabennachmittage zwischen Weihnachten und dem neuen Jahr. Kein Stress mehr und kein aufgeregtes Durchgehen der Listen, was man noch alles zu erledigen hat und wen man noch anrufen, treffen oder einladen sollte. Weihnachten war vorbei und die Hoffnung in mir lebte wieder auf, dass ich mir jetzt aber ganz sicher fürs nächste Weihnachten vornehmen werde, ganz rechtzeitig mit „Weihnachten“ anzufangen und dann die letzte Woche vor dem heiligen Abend einfach nur gelöst zu geniessen. Da fiel mir jenes Erlebnis wieder ein, das erst einige Monate zurückliegt und das mein Denken und mein Leben entscheidend verändert hat..... Ich sah damals am Fenstersims und hörte was drinnen gesprochen wurde......in der Wohnung von August im dritten Stock,.....

Es war offenbar der Tag, als August plötzlich und unerwartet seine liebe, junge Frau verloren hat. Er ging damals langsam hinüber und öffnet die Kommodenschublade seiner Frau Martha und holte ein in Seidenpapier verpacktes kleines Päckchen hervor. Es war nicht irgendein Päckchen, sondern ein Päckchen mit Unterwäsche darin. Er warf das Papier weg and betrachtete die Seide und die Spitze. "Dies kaufte ich als wir zum ersten Mal in Wien waren. Das ist jetzt 3 oder 4 Jahre her. Sie trug es nie. Sie wollte es für eine besondere Gelegenheit aufbewahren. Und jetzt, glaube ich, ist der richtige Moment gekommen." Er näherte sich dem Bett and legte die Unterwäsche zu den anderen Sachen, die von dem Bestattungsinstitut mitgenommen werden sollten. Seine Frau war Tags zuvor plötzlich gestorben. Plötzlich entdeckte er mich am Fenstersims , drehte sich um und sagte zu mir: "Bewahr nichts für einen besonderen Anlass auf; jeder Tag den Du lebst, ist ein besonderer Anlass." Ich denke immer noch an diese Worte. Sie haben mein Leben verändert. Heute lese ich viel mehr als früher und arbeite weniger. Ich setze mich auf meinen Stammbau neben dem Dom and genieße die Landschaft, ohne auf das Unkraut im Garten zu achten. Ich höre den Menschen zu, sehe die Natur mit anderen Augen und rieche die Blumen. Ich verbringe mehr Zeit mit Rabenkollegen and meinen Freunden und weniger Zeit bei der Arbeit. Ich habe begriffen, dass das Leben eine Sammlung von Erfahrungen ist, die es zu schätzen gilt.

Von jetzt an bewahre ich nichts mehr auf. Ich benutze täglich meine schönsten Anzüge. Wenn mir danach ist, trinke ich einen kräftigen Schluck aus der Flasche mit dem sauteuren 24-jährigen Rum oder Köpfe eine Flasche Champus. Sätze, wie z.B. Eines Tages... oder An einem dieser Tage... sind dabei, aus meinem Vokabular verbannt zu werden. Wenn es sich lohnt, will ich die Dinge hier and jetzt sehen, hören and machen. Ich will Reisen und ganz einfach das tun, was ich wirklich will und nicht das, was die anderen von mir erwarten.

Ich bin mir nicht ganz sicher, was die Frau meines Freundes gemacht hätte, wenn sie gewusst hätte, dass sie morgen nicht mehr sein wird. Ein Morgen, das wir oft zu leicht nehmen. Ich glaube, dass sie noch ihre Familie and engen Freunde angerufen hätte. Vielleicht hätte sie noch ein paar alte Freunde angerufen, um sich zu versöhnen oder sich für alte Streitigkeiten zu entschuldigen. Der Gedanke, dass sie vielleicht noch chinesisch essen gegangen wäre (ihre Lieblingsküche), gefällt mir sehr. Es sind diese kleinen unerledigten Dinge, die mich sehr stören würden, wenn ich wüsste, dass meine Tage gezählt sind. Genervt wäre ich auch, gewisse Freunde nicht mehr gesehen zu haben, mit denen ich mich ...an einem dieser Tage... in Verbindung hätte setzen sollen. Genervt, nicht die Briefe geschrieben zu haben, die ich ..an einem dieser Tage... schreiben wollte. Genervt, meinen Liebsten nicht oft genug gesagt zu haben, wie sehr ich sie liebe. Jetzt verpasse, verschiebe and bewahre ich nichts mehr, was uns Freude und Lächeln in unser Leben bringen könnte. Ich sage mir, dass jeder Tag etwas Besonderes ist.... jeder Tag, jede Stunde sowie jede Minute ist wirklich etwas Besonderes. Ich habe gelernt, Zeit schätzen zu lernen und ihr nicht hinterher zu rennen.

Und wieder gehen meine Gedanken zurück als mein kleiner Rabensprössling eines Tages, sie war damals erst gerade sieben Jahre alt geworden, mit einem Blatt Papier aus der Rabenschule nach Hause gekommen war. Auf diesem Blatt war mit Buntstiften eine Sonne, ein Haus, ein Garten gezeichnet und darunter stand in holpriger Schrift : „Bejahe den Tag, so wie er Dir geschenkt wird“. Aber das ist eine andere Geschichte. Oder doch nicht?

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